TEXTGRÖSSE:
Manfred ZapatkaSchauspieler
Samba mit Tiefgang


Als Kind wollte er Bauer werden. Heute ist er einer der bedeutendsten deutschen Schauspieler. Manfred Zapatka über Familie, Tod und sein neues Afrika-Hörbuch


Jörg Steinleitner:  Herr Zapatka, Sie sind neben Eva Mattes und Anna Thalbach eine der Schauspielergrößen, die an der neuen "Afrika erzählt"-Reihe mitwirken. Waren Sie selbst schon einmal in Afrika?

Manfred Zapatka:  Ja, schon zweimal. Einmal in Südafrika, als dort noch ein anderes Regime an der Regierung war und einmal in Marokko. Beide Male habe ich dort gefilmt. Südafrika werde ich in meinem Leben nicht vergessen. Es ist eines der schönsten Länder, die ich je gesehen habe. Gleichzeitig konnte ich nicht darüber hinwegsehen, wie ungerecht das Leben dort ist: Auf der einen Seite leben viele Menschen in winzigen und sehr einfachen Hütten zusammen, mit ein bisschen Draht drum herum und ein paar Hühnern, und auf der anderen Seite stehen riesige, bewachte Villen. Aber Land ist wunderschön. Ich habe mich dauernd an Hemingways „Die grünen Hügel Afrikas“ erinnert gefühlt.

Jörg Steinleitner:  Was schätzen Sie an dem von Ihnen gelesenen Hörbuch "Okonkwo oder das Alte stürzt" besonders?

Manfred Zapatka:  Zunächst einmal lerne ich einen sehr guten Text kennen – ich kannte den Schriftsteller Chinua Achebe vorher überhaupt nicht, das muss ich zu meiner Schande gestehen; und dann hat mich die Machart dieses Romans beeindruckt. Die rein literarische Arbeit. Die Qualität. Und die Situationen, die da vorkommen, die Geschichte, die Beziehungen der Menschen zueinander, das alles hat mich schon sehr gefesselt. Auch, weil es etwas total anderes ist, als was ich bisher gelesen hatte.

Jörg Steinleitner:  Haben Sie irgendeine konkrete Szene der Geschichte im Kopf, die Sie nicht mehr loslässt?

Manfred Zapatka:  Ja, gleich zu Anfang, die Beschreibung von Okonkwos Vater: ein Mann, der eigentlich sein ganzes Leben nur Flöte gespielt und getrunken hat; der allen Leuten Geld geschuldet hat. Bei uns in Deutschland wäre der ja in irgendeinem Gefängnis verfault, wäre auf der Straße gelandet, aber nein: Der hat immer weiter in diesem Dorf leben können und ist irgendwie über die Runden gekommen. Es gab also in diesem System auch für ihn einen Platz. Der Mann wurde zwar verachtet und sein Sohn Onkonkwo hat sein Leben lang darunter gelitten, aber schließlich ist auch die Triebfeder seines Lebens daraus entstanden: nämlich fleißig zu sein, nach vorne zu kommen, Stammestitel zu erwerben … Dieser Mann ist nicht ausgegrenzt worden, er durfte weiter in dieser Gesellschaft leben. Man hat sich nicht an ihm gerächt. Das hat mich schon unglaublich beeindruckt.

Jörg Steinleitner:  Die Sprache dieses Textes wirkt auf uns Westeuropäer sehr poetisch, seine Aussage politisch. Was von beiden steht für Sie im Vordergrund?

Manfred Zapatka:  Zunächst einmal hat mich einfach diese Kultur interessiert. Ob sie so poetisch ist, das weiß ich nicht. Ja, es ist schon sehr gut geschrieben, es ist aber auch eine Übersetzung, das wage ich gar nicht so zu beurteilen. Das Politische kommt ja erst im zweiten Teil des Romans: Da merkt man, dass plötzlich eine völlig andere Welt aufzieht, die sich um die Welt, die sie da vorfindet, nämlich diese traditionsreiche Ibo-Kultur, einen Dreck kümmert und mithilfe des Christentums versucht, Macht auszuüben. Faszinierend ist, mit welcher Raffinesse der Autor da ganz unversehens unsere weiße Welt einfügt. Man erkennt sich sofort wieder: Die Weißen kommen mit dem Fahrrad und schicken zunächst nur einen Priester, der mit den Leuten vernünftig redet. Aber wenn ein Ibo dem Priester auf die Soutane tritt, ist da sofort ein Gerichtshof in der Nähe.

Jörg Steinleitner:  Wie gehen Sie an einen solchen Text heran?

Manfred Zapatka:  Ich gehe immer intuitiv an Stoffe ran. Ich lese die und dann lasse ich sie erst einmal auf mich wirken. Und ich habe mich mit diesem Text am Anfang sehr, sehr schwer getan, weil der so eine ganz andere Form des Aufbaus hat, als ich es kenne. Ich kann das gar nicht genau beschreiben, woran das genau lag. Er beharrt einfach auf seiner ganz besonderen Art und das ist ja ein großes Verdienst. Er bemüht sich nicht um den Leser, aber er lässt ihn trotzdem rein. Und ist man erst einmal drin, dann ist man sehr fasziniert. Bei meiner zweiten Lektüre habe ich den Text in einer Nacht durchgelesen. Danach habe ich ihn mir Kapitel für Kapitel angearbeitet.

Jörg Steinleitner:  "Okonkwo oder das Alte stürzt" enthält auch sehr grausame Passagen. Beispielsweise schneidet der Titelheld Okonkwo seinem Pflegesohn eigenhändig die Kehle durch, weil es sein Stamm verlangt. Was lösen derartige Beschreibungen in Ihnen aus?

Manfred Zapatka:  Erschrecken! Dieser Pflegesohn, den Okonkwo eigenhändig tötet, ist ja eigentlich eine Geisel, die man ihm zur Verwahrung gegeben hat, weil ein anderes Dorf ein junges Mädchen aus Okonkwos Dorf umgebracht hat. Am Anfang habe ich gedacht – dieser starke Mann, bester Ringer seines Landes, der wird doch hoffentlich mit dieser Situation fertig werden! Aber dann hat es mich gegruselt. Weil einem als Leser dieser Ikemefuna ja auch ans Herz wächst, dieser Geiselsohn. Es hat mich gegruselt, aber ich sehe da auch Parallelen zu unserer Welt: Wir haben ja auch früher Sachen gemacht, die man uns befohlen hat, wo man sich heute fragt „Kann denn das überhaupt möglich gewesen sein?“ Und diese Stammesgemeinschaft ist ja in ihrer Solidarität untereinander viel zivilisierter als wir das heute sind. Aber es gibt eben in jeder Gemeinschaft Regeln, die man nicht mehr versteht.

Jörg Steinleitner:  Sehen Sie Parallelen zu Rollen, die Sie selbst auf dem Theater spielten, oder Motive europäischer Kultur?

Manfred Zapatka:  Okonkwo ist ja ein Mensch, den man am Anfang erst einmal von sich weist: Man empfindet ihn als abstoßend; aber mit der Zeit gewinnt man ihn lieb, weil man in seine Seele schaut – komischerweise ja auch gerade durch seinen Mord an seinem liebsten Sohn! Dieser Ikemefuna ist ja eigentlich sein liebster Sohn! – Ob ich da Motive oder Rollen, die ich einmal gespielt habe? – Nein! Nur manchmal habe ich gedacht, dass er ist in seiner Konsequenz wie so ein Shakespeare’scher Lear ist. Nur – ich habe Lear nie gespielt. Vielleicht sollte ich ihn mal spielen … daran hat er mich erinnert. Das ist schon ein Archetyp, den der Achebe da hingestellt hat.

Jörg Steinleitner:  Achebes Geschichten erzählen auch viel vom Alltagsleben in diesem Dorf. Dass es ein sehr einfaches, naturnahes Leben ist. Sie leben in der Großstadt Berlin. Verspürten Sie selbst jemals Sehnsucht nach einem derartigen Leben?

Manfred Zapatka:  Es ist so: Ich bin in Bremen geboren und in Cloppenburg aufgewachsen und meine Großeltern hatten einen Bauernhof in Goldenstedt. Und da bin ich als Junge viel gewesen. Ich durfte Traktor fahren und so … da habe ich für mich ganz speziell das Landleben entdeckt und habe zum großen Entsetzen meiner Eltern mit 14 Jahren geäußert: „Ich werde Bauer!“ (lacht) Meine Eltern haben aber, wohl auf die Kraft ihrer Erziehung vertrauend, gar nicht versucht, mich von diesem Plan abzuhalten; und dann habe ich noch bei einem Bauern in der Nachbarschaft bei uns in Cloppenburg gearbeitet, so ein bisschen morgens in der Ferienzeit …, das hat sich dann bald gegeben. Seitdem nehme ich nicht mal mehr einen Spaten in die Hand. Das hat sich also bei mir ausgeträumt. Das einfache Leben ist ein sehr hartes Leben und es wird ja auch hier als sehr hartes Leben beschrieben – zwar als ein grundehrliches und einander zugewandtes Leben – aber nein, ein bisschen Luxus darf bei mir ruhig sein. Ich liebe die Zivilisation.

Jörg Steinleitner:  Familie, Großfamilie und Verwandtschaft spielen in diesen afrikanischen Geschichten eine wichtige Rolle. Sie selber haben fünf Kinder und dass wir zu wenig Kinder haben, ist ja nun ein ganz aktuell diskutiertes Thema in Deutschland. Welche Bedeutung hat Ihre Familie für Sie?

Manfred Zapatka:  Es ist der wichtigste Teil meines Lebens neben meinem Beruf. Wenn ich jetzt so meine Enkel heranwachsen sehe – ich finde das gut, ich mag das. Für mich ist Familie ja auch was, was uns die Natur oder Gott oder wir alle uns gegenseitig schenken. In der Familie findet man seine Kraft, seine Unterstützung, auf der anderen Seite ist so eine Familie ein kleiner Staat, ein Staat im Staat, wo man lernen kann, wie man miteinander umgeht, dass man vielleicht aufeinander Rücksicht nehmen sollte. Ach, was rede ich da lange rum: Es macht Spaß! Ich finde Familie etwas sehr Wichtiges, es bedeutet natürlich Arbeit, aber es bedeutet auch ebenso viel Freude und ich weiß nicht – wenn ich immer alleine leben würde, würde ich, glaube ich, entweder zum Alkoholiker oder wahnsinnig werden. Ich sage immer: Die Familie ist meine Quelle.

Jörg Steinleitner:  Noch ein großes Thema ist in "Okonkwo oder das Alte stürzt" allgegenwärtig – der Tod. Wie halten Sie es selber mit dem Tod?

Manfred Zapatka:  (lacht) Wie soll ich es mit dem Tod halten?! Ich muss ganz ehrlich sagen, ich denke eigentlich selten darüber nach. Aber vielleicht kommt das ja alles noch. Ich kann auch nicht behaupten, dass ich mich bibbernd ins Bett lege, abends, das ist alles nicht der Fall. Theoretisch lerne ich den Tod natürlich in meinen Stücken kennen, wenn ich sterben muss, da beschäftigt man sich natürlich rein äußerlich damit: Wie ist das, wenn Menschen in diese Situation geraten? Aber vielleicht kann man aus dieser Ibo-Kultur ja auch viel lernen, dass der Tod etwas Natürliches ist, dass man in eine andere Welt übergeht. Bei den Ibos leben die Ahnen ja weiter, da sind die Ahnen sogar ein Stand der Gerichtsbarkeit: In ganz wichtigen, ausweglosen Situationen treten die „egwugwu“ auf, das heißt die Ahnen, und versuchen, ihrem Volk zu sagen, was es besser machen kann. Da kann man von dieser Ibo-Kultur lernen, dass der Tod nicht der Schrecken sein muss. – Also ich rede jetzt natürlich sehr elitär, wie Sie merken, weil ich natürlich keine Ahnung davon habe – wie Shakespeare sagt: „Aus diesem fernen Land, aus dem kein Wanderer wiederkam.“ Das ist halt so. Aber diese Kultur geht doch sehr – wenn ich ein neudeutsches Wort benutzen darf – relaxt mit dem Tod um. Das ist etwas Natürliches, das ist etwas vielleicht sogar Schönes und … oh, das klingt jetzt alles so cool – ich bin gar nicht so cool! Aber ich sage: Das hat mich schon sehr beeindruckt, dass man in dieser Gemeinschaft aufgehoben ist, dass man da miteinander würdevoll umgeht. Wirklich würdevoll. Und, dass alle Themen tabulos sind: Man spricht über alles, und wenn man nicht mehr weiter weiß, dann fragt man die Ahnen.

Jörg Steinleitner:  Die werden in ihrer Bedeutung aber sehr geschwächt, als das Christentum in diese archaische Welt einbricht. Okonkwos Sohn ist fasziniert von der Poesie der neuen Religion, die in seinem Dorf alles verändert. Hat das Christentum auch für Sie etwas Poetisches?

Manfred Zapatka:  Für mich ist jede Religion zunächst einmal Hoffnung. Stütze im Alltag. Diese Aussage von Okonkwos Sohn hat mich auch sehr verblüfft: Dass er die neue Religion poetisch findet. Das liegt natürlich hier in diesem Roman an den Umständen, die der Sohn vom Okonkwo erfährt. Es liegt ja auch daran, dass sein Vater seinen liebsten Bruder, den Pflegesohn Ikemefuna, in seiner Not, weil er glaubte, gehorchen zu müssen, hingerichtet hat. Und es liegt daran, dass dieser Sohn sehr, sehr weich, sehr mütterlich erzogen worden ist – Onkonkwo sieht in ihm nie seinen großen Nachfolger. Ich finde, das Christentum bringt Chinua Achebe so ein, wie wir das kennen. Und es mich eher erschreckt. Ich kann das schon nachvollziehen, dass ein intelligenter junger Mann, der ja im übrigen die Lehren der neuen Religion für völligen Blödsinn hält – wie Achebe schreibt, sondern wegen dieser Gemeinschaft, die eine andere Hoffnung verspricht und weil es dort Krankenhäuser gibt, weil es ein ganz geregeltes Leben gibt, das eine große Anziehungskraft ausübt. Also, wie gesagt: Religion ist in erster Linie Hoffnung, Hilfe im Alltag, Hilfe für einen selbst, wenn man in Not ist. Und wenn man liest, wie Achebe es hier darstellt, wird erschreckend klar, was das Grundübel des Imperialismus ist: Dass man die Kultur, die man vorfindet, erst einmal für nichtswürdig erklärt. Die wird erst einmal niedergetrampelt. „Das sind Idioten, die glauben an irgendwelche Geister oder Götter“, das tritt man kaputt und man baut dann sein eigenes Religionssystem auf, weil man im Grunde nichts anderes will als die Macht. Das wird in diesem Hörbuch ja ganz genau beschrieben: Erst kommen die Priester, dann kommen die Soldaten, dann kommt das Gericht, das nach Gesichtspunkten richtet, die die Leute nicht mehr verstehen. In diesem Hörbuch ist beispielhaft beschrieben, dass Religion und Staat etwas Getrenntes sein sollten. Wenn sie Hand in Hand arbeiten wie in diesem Roman, sind sie der Schrecken.

Jörg Steinleitner:  Und genau das ist das Brandaktuelle an dieser Geschichte.

Manfred Zapatka:  Ja natürlich! Dieses Hörbuch ist brandaktuell! Natürlich ist es ein Verbrechen, wenn man in ein arabisches Land geht und mit Feuer und Schwert die Demokratie durchsetzen will. So einen Wahnsinn – das ist ja ungeheuerlich! Das ist auch überheblich. Auch da missachtet man die Kultur, die man vorfindet. Da geht man ja auch nicht pfleglich oder schonend mit den Leuten um und versucht sie zu überzeugen, sondern man tritt sie zu Boden. Natürlich ist das brandaktuell!

Jörg Steinleitner:  Sie sprechen jetzt von den amerikanischen Feldzügen der Gegenwart?

Manfred Zapatka:  Nicht nur. Man kann das auch weiter fassen: Immer da, wo wir uns hinwenden und sagen: „Ihr müsst jetzt aber mal demokratisch werden“ – früher musste man religiös werden, jetzt muss man demokratisch werden, und wenn es mit Feuer und Schwert passiert, das ist ein Wahnsinn! Ja.

Jörg Steinleitner:  Das alles hört sich ja nun so an, als wäre dieses Hörbuch wegen all der tiefschürfenden Themen unglaublich anstrengend und schwer anzuhören. Das ist aber doch gar nicht so …

Manfred Zapatka:  … nein, das ist überhaupt nicht so. Das ist wunderbar, dass Sie darauf hinweisen. Das liest sich wie – wie so’n Samba. (lacht) Das ist wunderbar geschrieben. Herrlich. Das ist fremd, ohne folkloristisch zu sein, man schmeckt so richtig die afrikanische Luft. Es sind kurze, schnelle Sätze, wunderbar beobachtet. Das liest sich sehr, sehr gut.

Jörg Steinleitner:  Herr Zapatka, vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt im HörBuch-Magazin 2007/2.

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