TEXTGRÖSSE:
Rufus BeckSchauspieler
Ich hatte nur eine Donald Duck-Schallplatte


Deutschlands "Mister Hörbuch" über Kinder, epische Sountracks und seine neuesten Hörbücher.


Jörg Steinleitner:  Herr Beck, kaum ein Schauspieler macht mehr Hörbücher als Sie. Man kann Sie ohne Übertreibung als "Mister Hörbuch" des deutschsprachigen Raums sind. Haben Sie darauf gezielt hingearbeitet?

Rufus Beck:  Nein, das hat sich so ergeben. Zufall. Oder Schicksal. Aber da ist es natürlich wie beim Fußball: Wenn man keine Chance hat, kann man auch kein Tor machen. Für mich waren die Harry Potter-Hörbücher die große Chance. Aber ich habe mich nicht darauf ausgeruht, sondern das Genre weiter entwickelt.

Jörg Steinleitner:  Harry Potter, Meg Finn, die Lemony Snicket-Romane und der Kleine Nick, um nur einige ihrer aktuellen Neuerscheinungen zu nennen, sind alles Kinder-Hörbücher. Worauf legen Sie Wert, wenn Sie ein Hörbuch für Kinder einspielen?

Rufus Beck:  Es darf nie onkelhaft sein. Gute Kinderliteratur versucht nicht klüger als die Kinder zu sein. Meine Hörbücher sind im Grunde genommen für das Kind im Erwachsenen.

Jörg Steinleitner:  Gerade Ihre Hörbücher kann die ganze Familie hören ...

Rufus Beck:  Ja, das ist eine interessante Entwicklung: Das haben ja eigentlich die Kinder durchgesetzt: Sie haben Harry Potter gehört und die Eltern haben eben zwangsläufig mitgehört. Und irgendwann haben die Eltern gesagt: Oh, das ist ja lustig und interessant, das ist ja gar nicht so 'ne Kinderkacke! Ab und zu mache ich zum Beispiel Lesungen zu Lemony Snicket, was eigentlich vom Verlag als Kinderhörbuch gedacht war, die Lesungen beginnen aber in der Regel erst nach 20.00 Uhr und das Haus ist voll – nur mit Erwachsenen! Ich versuche eben im wahrsten Sinne des Wortes Familienunterhaltung zu machen.

Jörg Steinleitner:  Sie haben selbst Kinder ...

Rufus Beck:  ... und die hören und hörten alle meine Hörbücher. Sogar John Irving – schon als 9-Jährige. Aber natürlich nie alleine. Ich war dabei. Meine Frau hatte bei solchen Erwachsenen-Stoffen Bedenken, aber meine Kinder dürfen praktisch alles hören. Wir reden dann darüber und meine Erfahrung zeigt, dass Texte, die über den Erfahrungshorizont eines Kindes hinausgehen, sozusagen weggefiltert werden, die hören nur das, was Sie auch verdauen können. Ich denke, Kindern kann man generell mehr zutrauen, man muss Sie auch fordern. Große Romane, also Erwachsenen-Literatur würden Kinder wahrscheinlich nicht lesen und wären damit überfordert, aber hören können Sie diese Texte, am Besten zusammen mit Erwachsenen und so bekommen Sie sogar noch, quasi durch die Hintertür, Erfahrung mit der Welt Literatur.

Jörg Steinleitner:  Haben Sie als Kind Schallplatten mit Geschichten gehört?

Rufus Beck:  Das gab es damals fast gar nicht. Ich hatte nur eine Donald Duck-Schallplatte, die war weiß und aus Plastik, das man biegen konnte.

Jörg Steinleitner:  Und heute?

Rufus Beck:  Ja, sehr viel. Beim Autofahren, oder ich gehe mit meinem MP3-Player joggen oder spazieren. Ich bin offen für jede Art von Hörbuch.

Jörg Steinleitner:  Sie haben auf den wichtigsten deutschen Bühnen gespielt, ausgezeichnete Filme gedreht – was fasziniert Sie so sehr am Medium Hörbuch?

Rufus Beck:  Es ist so vielfältig: Man kann es zu mehreren hören und hat ein Gemeinschaftserlebnis. Man kann es zur Entspannung hören oder bei automatisierten Abläufen – wie beim Aufräumen oder Bügeln oder bei Gartenarbeit. Ideal ist es beim Autofahren. Aber man darf nicht zu schnell fahren, sonst bekommt man nichts mit. 130 km/h Maximum auf der Autobahn ist die optimale Hörbuch-Geschwindigkeit. Wenn Sie beim Autofahren vom Hörbuch alles mitbekommen, dann fahren Sie garantiert nie zu schnell.

Jörg Steinleitner:  Worauf kommt es beim Vorlesen an – insbesondere, wenn man Kindern vorliest?

Rufus Beck:  Persönlichkeit und Authentizität ist das wichtigste. Sie müssen wissen, was Sie erzählen und warum. Außerdem ist es gut, wenn man ein geschultes Instrument, eine Stimme hat. Es hilft, ist aber nicht entscheidend. Marcel Reich-Ranicki beispielsweise hat keine gute Stimme, sogar einen leichten Sprachfehler, aber beim Lesen seiner Biografie ist er authentisch, er liest mit Gefühl, weil er musikalisch ist. Wer vorliest, braucht ein Gespür für Rhythmus und Melodie.

Jörg Steinleitner:  Ändern Sie die Texte, bevor Sie sie aufnehmen?

Rufus Beck:  Ändern nicht, aber Kürzungen nehme ich schon manchmal vor. Es gibt Passagen von Büchern, die braucht man nicht komplett zu lesen, weil die Stimmung sowieso klar ist. Aber die meisten Romane bleiben ungekürzt, Harry Potter oder John Irving, um nur einige zu nennen.

Jörg Steinleitner:  Viele, auch sehr umfangreiche Hörbücher erzählen Sie ganz allein.

Rufus Beck:  Ja, denn es ist viel verführerischer, wenn der Erzähler sich plötzlich in eine Figur verwandelt und dann wieder zum Erzählen zurückkehrt. So ein Hörbuch hat großen Charme und ermöglicht etwas, was beim Film nicht geht, den schnellen Bruch vom Epischen zum Theatralischen, von Beschreibung zu Dialog.

Jörg Steinleitner:  Sie arbeiten gerne mit Musik ...

Rufus Beck:  Ja, sehr. Bei vielen meiner Hörbücher wird die Musik dramaturgisch eingesetzt. Sie kann Verbindungsglied zwischen den Kapiteln, aber auch Soundtrack sein und wird eingesetzt wie Filmmusik. Musik oder Sounds schaffen einen emotionalen Teppich und ergeben der reinen Bedeutung des Textes und der Interpretation des Sprechers eine zusätzliche sinnliche Ebene. Bei Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde zum Beispiel hat mein Komponist Parviz Mir-Ali mit drei Jazzmusikern zusammengearbeitet.

Jörg Steinleitner:  Wie kam es dazu?

Rufus Beck:  Ich habe diesen völlig unterschätzen Roman gelesen und mir gedacht: Das ist eine aberwitzige, schillernde, surreale Traumgeschichte und kein typischer Jules Verne-Roman. Und dann haben wir Klangräume, Musiken, Sounds, verschiedene Akustiken verwendet, um die unterschiedlichen Erzählstränge darzustellen. Das Ergebnis ist toll – eben „Kino für die Ohren“. – Es ist ein epischer Soundtrack geworden.

Jörg Steinleitner:  Neuerdings gibt es bei Hörbuch Hamburg die "Edition Rufus Beck" – da haben Sie noch mehr gestalterische Freiheit ...

Rufus Beck:  ... und die nutze ich. Die "Edition Rufus Beck" ist wie eine Krabbelkiste für mich. Das Konzept ist: Alles, worauf ich Lust habe. Das können entweder Autoren sein, auf die ich neugierig machen will, das können Klassiker – Meisterwerke der Moderne, wie Irving sein, das können Kindergeschichten sein. Wenn ich etwas spannend finde, ist mir der Arbeitsaufwand egal. Es gibt ein paar Bücher, die dürfen einfach nicht vergessen werden!

Jörg Steinleitner:  Herr Beck, vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt in HÖRkulino 2005.

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