TEXTGRÖSSE:
Rainer SchmitzFocus-Literaturchef
Sezieren, verreißen, genießen


Focus-Literaturchef Rainer Schmitz über Liebesgedichte, literarisches Besteck und die Kunst, ein Buch gut zu verreißen.


Jörg Steinleitner:  Herr Schmitz, welche Bücher kommen für eine Rezension in Focus in Frage?

Rainer Schmitz:  Es sollte neu sein, aus einem deutschen Verlag stammen und einen Nerv der Zeit treffen. Bei Belletristik muss es sich zudem ästhetisch herausheben. Das kann auch ein Unterhaltungsstoff sein, der gut geschrieben ist, amüsant, mit einem interessanten Plot, der Überraschendes bietet.

Jörg Steinleitner:  Ist der Weg, den Elke Heidenreich mit ihrer eher unkritischen Herangehensweise an Bücher, die aber vermutlich wesentlich mehr die Leselust erweckt als viele Kritiken in Magazinen und Zeitungen, für Focus ein gangbarer?

Rainer Schmitz:  Frau Heidenreich urteilt sehr emotional, salopp gesagt, aus dem Bauch heraus – immer nach den Kategorien, es gefällt ihr oder nicht. Nein, Focus muss schon Maßstäbe, ein literarisches Besteck haben.

Jörg Steinleitner:  Muss eine mächtige Kulturredaktion wie die Ihre ein Buch verreißen?

Rainer Schmitz:  Der Verriss gehört zu den klassischen Formen der Literaturkritik. Er bewirkt manchmal mehr als eine positive Besprechung. Allerdings gibt es bei einem Verriss Regeln zu beachten: Es muss immer um die Sache gehen und nie um die Person des Autors. Unser Grundanliegen ist es aber, Bücher zu empfehlen.

Jörg Steinleitner:  Focus ist mit dem Deutschlandfunk Köln Initiator der Kinderbuch-Bestenliste ...

Rainer Schmitz:  Ja, im Oktober feiern wir ihr zehnjähriges Bestehen. Mit dieser Empfehlungsliste, hinter deren Entscheidungen eine sachkundig besetzte Jury steht, setzen wir Maßstäbe. Darauf sind wir stolz. Seither räumen die Feuilletons dem Kinderbuch deutlich mehr Raum ein.

Jörg Steinleitner:  Es ist Ihr Beruf, den ganzen Tag spannende Bücher zu lesen – gibt es bei Focus ein Zimmer mit einer Lese-Couch für die Literatur-Redakteure?

Rainer Schmitz:  (lacht) Nein, wenn man wirklich liest, sich intensiv mit Büchern beschäftigt, dann ist das ja eine anstrengende Angelegenheit, die Zeit und Konzentration erfordert. Und obwohl ich natürlich ständig von Büchern umgeben bin, kann ich das dennoch genießen!

Jörg Steinleitner:  Welches Buch schenkt man einer Person, die man liebt?

Rainer Schmitz:  Liebesgedichte, da gibt es wunderschöne Sammlungen, zum Beispiel bei Insel oder Patmos. Da kann keine falsch sein!

Jörg Steinleitner:  Herr Schmitz, vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview wurde abgedruckt in buchSzene 2004/III. www.buchszene.de

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